Was das Nervensystem mit Hochsensibilität zu tun hat
Hochsensibilität ist in den letzten Jahren ein Begriff geworden, den viele Menschen mit sich selbst in Verbindung bringen – oft mit einem Gefühl von Erleichterung, endlich einen Namen für das eigene Empfinden zu haben. Doch was genau steckt dahinter? Und welche Rolle spielt dabei das Nervensystem?
In diesem Artikel tauchen wir tief in die Verbindung zwischen Hochsensibilität und dem Nervensystem ein – fachlich fundiert, verständlich erklärt und mit Impulsen zur Selbstregulation.
Hochsensibilität – eine kurze Einordnung
Der Begriff Hochsensibilität wurde durch die US-amerikanische Psychologin Elaine Aron geprägt. Laut ihrer Forschung verfügen etwa 15–20 % der Menschen über ein hochsensibles Nervensystem. Hochsensible Personen – oft als HSPs (Highly Sensitive Persons) bezeichnet – nehmen Reize intensiver wahr, verarbeiten sie tiefgehender und reagieren emotional oft stärker auf ihre Umwelt.
Das betrifft äußere Reize wie Lärm, Licht oder Menschenmengen ebenso wie innere Reize: Gedanken, Emotionen, körperliche Empfindungen.
Doch das ist keine Schwäche – im Gegenteil. Hochsensibilität ist ein evolutionäres Temperamentsmerkmal, das mit einer feinen Wahrnehmung, hoher Empathie, Kreativität und einer ausgeprägten Intuition einhergeht.
Das Nervensystem – Steuerzentrale unserer Wahrnehmung
Das Nervensystem ist die Schaltzentrale unseres Körpers. Es verarbeitet Sinneseindrücke, steuert Reaktionen und reguliert unsere innere Balance. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist das autonome Nervensystem, das in zwei Hauptzweige unterteilt ist:
- Sympathikus – aktiviert uns in Stress- oder Gefahrensituationen („Kampf oder Flucht“).
- Parasympathikus – beruhigt und regeneriert uns („Ruhe und Verdauung“).
Ein drittes, oft übersehenes System ist der ventrale Vagusnerv, der in der Polyvagal-Theorie eine zentrale Rolle spielt. Er unterstützt uns in Zuständen sozialer Verbundenheit, Sicherheit und Gelassenheit.
Bei HSPs ist dieses System besonders fein abgestimmt – was sowohl eine Gabe als auch eine Herausforderung sein kann.
Hochsensibilität = ein feinfühliges Nervensystem
Was unterscheidet hochsensible Menschen auf der Ebene des Nervensystems?
1. Intensivere Reizaufnahme
Hochsensible nehmen mehr Reize auf – sowohl im Außen als auch im Inneren. Geräusche, Gerüche, Stimmungen oder atmosphärische Veränderungen werden nicht nur registriert, sondern intensiv erlebt.
2. Tiefere Verarbeitung
Diese Reize werden im Gehirn gründlicher analysiert – vor allem in Arealen wie dem präfrontalen Cortex, der für Reflektion und Bewertung zuständig ist. Das führt dazu, dass HSPs oft länger über Erfahrungen nachdenken, feine Nuancen erkennen und komplexe Zusammenhänge spüren.
3. Stärkerer Stress-Impact
Weil das Nervensystem so fein reagiert, kommt es schneller zu Überstimulation. Wenn zu viele Reize auf einmal eintreffen – sei es durch ein volles Einkaufszentrum, einen intensiven Arbeitstag oder Konflikte – schaltet der Körper schneller in Alarmbereitschaft: Herzrasen, innere Unruhe, Gereiztheit oder Erschöpfung sind mögliche Folgen.
Nervensystemregulation: Der Schlüssel zu mehr Balance
Die gute Nachricht: Hochsensibilität ist kein „Zuviel“, das reduziert werden muss, sondern eine besondere Veranlagung, die verstanden und begleitet werden will.
Der Schlüssel dazu liegt in der Regulation des Nervensystems. Wer lernt, sich selbst in herausfordernden Momenten zu beruhigen und innere Sicherheit zu aktivieren, kann seine Sensibilität als Ressource erleben statt als Last.
Hier einige bewährte Strategien:
🔹 1. Pausen & Rückzug bewusst einplanen
Das Nervensystem braucht regelmäßige Reize und Entspannung. Plane bewusst Pausen ein – am besten, bevor du sie dringend brauchst.
🔹 2. Atemtechniken
Langsames, bewusstes Atmen (z. B. 4 Sekunden ein, 6 Sekunden aus) aktiviert den Parasympathikus und bringt dich zurück in die Ruhe.
🔹 3. Reize dosieren
Vermeide Überstimulation, indem du deinen Alltag reizärmer gestaltest: Noise-Cancelling-Kopfhörer, Sonnenbrille, reduzierte To-do-Listen – kleine Anpassungen mit großer Wirkung.
🔹 4. Selbstmitgefühl kultivieren
Ein reguliertes Nervensystem braucht Sicherheit. Wenn du dir selbst mit Verständnis begegnest statt mit Druck, entsteht ein innerer Raum für Ruhe und Integration.
🔹 5. Körperübungen zur Erdung
Bewegung, Dehnung, Klopfen oder bewusste Berührung helfen dem Nervensystem, Anspannung abzubauen. Besonders effektiv: Barfußgehen auf natürlichem Untergrund.
Warum Nervensystem-Wissen für HSPs essenziell ist
Viele hochsensible Menschen leiden unter Symptomen wie:
- Reizüberflutung
- Erschöpfung
- „Zuviel fühlen“
- Schwierigkeiten in Beziehungen
- Schlafproblemen
Häufig werden diese Phänomene als psychisch oder charakterlich missverstanden – dabei haben sie oft eine körperlich-neurologische Grundlage.
Wer versteht, wie das eigene Nervensystem funktioniert, kann sich selbst gezielt unterstützen – und hört auf, gegen sich selbst zu kämpfen.
Fazit: Hochsensibilität beginnt im Nervensystem
Hochsensibilität ist keine Einbildung, keine Schwäche, kein Defizit. Sie ist Ausdruck eines besonders empfänglichen, tief verarbeitenden Nervensystems. Diese neurobiologische Besonderheit bringt sowohl Herausforderungen als auch große Stärken mit sich.
Je besser du dein Nervensystem verstehst und regulieren lernst, desto freier kannst du deine Sensibilität leben – als Geschenk, nicht als Bürde.
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